CfP: Die Movierung. Formen – Funktionen – Bewertungen

Liebe Mitglieder der IGDD,
vom 13. bis 14. Oktober 2022 wird an der Universität Passau eine Tagung zu „Movierung. Formen – Funktionen – Bewertungen“ stattfinden.

Vortragsabstracts sind bis zum 30. November 2021 willkommen (per Mail an alexander.werth@uni-passau.de). Nähere Informationen bietet der anhängende Call for Papers.

Herzliche Grüße aus Passau,
Grit Nickel

 

Call for Papers

Die Movierung.
Formen – Funktionen – Bewertungen
(13.–14. Oktober 2022, Universität Passau)

Wohl kaum ein anderes sprachliches Phänomen hat in Deutschland in den letzten Jahren so viel gesellschaftliche Aufmerksamkeit erregt und kontroverse Debatten nach sich gezogen wie die Femininmovierung (Studentin, Arbeitgeberin, Youtuberin etc). Im öffentlichen Diskurs verhandelt – und nicht selten politisch instrumentalisiert – werden dabei Fragen unter anderem zu gendergerechtem Sprechen, zu sprachlicher Diskriminierung und Normierung.

Weniger beachtet ist, dass es seit einigen Jahren eine prosperierende linguistische Forschung zu diesem Themengebiet gibt. Arbeiten, die sich mit der funktionalen Movierung beschäftigen, d. h. mit Ableitungen aus appellativischen Basen, thematisieren wortbildungsspezifische Fragen zu Reihenbildung und Beschränkungen (phonologisch, morphologisch, semantisch und pragmatisch) der Movierung und ihrer Basen (Doleschal 2002, Fleischer/Barz 2012, Szczepaniak i. Dr.). Sie fokussieren aber auch die mit der Movierung verbundenen Lesarten und Assoziationen (dazu Kotthoff/Nübling 2018: Kap. 5), deren historischen und dialektalen Formenreichtum (Ratscheva 2003, Werth 2015, Möller 2017) und konstruktionelle Einbindung (Harnisch 2021).

Daneben gibt es inzwischen eine Reihe an Forschungsarbeiten, die sich mit der onymischen Movierung beschäftigen (z. B. Steffens 2014, Schmuck 2017, Roolfs 2019, Werth 2021). Bei diesem Wortbildungsmuster wird ein Familienname (seltener auch ein Ruf- oder Hausname) als Basis um ein Suffixderivat erweitert wird mit der Funktion, die Ehefrau („matrimonielle Movierung“) oder auch die Tochter („patronymische Movierung“) eines Mannes mit dem entsprechenden Familiennamen zu bezeichnen (die Lutherin ʻFrau von Martin Lutherʼ, Caroline Louise Karschin ʻTochter von Daniel Karschʼ). Die onymische Movierung ist in der Schriftsprache heute ausgestorben, war historisch aber stark produktiv und ist es in bestimmten Dialekten vermutlich immer noch (Mottausch 2004). Im Zentrum der Betrachtung stehen dabei Etymologie und (regionale) Formvariation der Suffixe, aber auch der historische Gebrauch und Abbau der onymischen Movierung (Rolker 2014, Werth i. Dr.).

Aufbauend auf diesen und weiteren Befunden möchte die Tagung zu einem intensiven Forschungsaustausch zur Movierung einladen. Auch geht es darum, die mit der Movierung in Zusammenhang stehende Genderdebatte um linguistisch fundierte empirische Forschung zu befruchten. Willkommen sind Vorträge, die sich datenbasiert unter anderem mit den folgenden Themen beschäftigen:

  • Historische und gegenwartssprachliche Produktivität der Movierung, auch im Verhältnis zu Kompositionsbildungen (Bäckerin/Bäckersfrau, Fachmann/Fachfrau) und Ersatzkonstruktionen (z. B. Partizipialbildungen) und nicht nur bei Berufs- und Personenbezeichnungen, sondern z. B. auch bei Tierbezeichnungen, Titeln und anderen Namen als Personennamen; zudem: Selektionsbeschränkungen für maskuline Ableitungen (EnteEnterich; HexeHexer/Hexerich) und Abbau der Movierung mit matrimonialer Lesart (Frau Bürgermeisterin → ʻFrau eines Mannes, der Bürgermeister istʼ).
  • Sprachliche Markierung der Movierung (speziell der in-Movierung) in geschriebener und gesprochener Sprache, z. B. durch Binnenmajuskel, Gendersternchen, Glottalverschluss.
  • Assoziationen zu und Bewertungen von movierten Formen (auch im Verhältnis zu generischen Formen und bei Singular- vs. Pluralbezeichnungen) z. B. mit psycholinguistischen Methoden.
  • Verarbeitung der Movierung im Lese- und Hörverstehen.
  • Auswertungen laienlinguistischer Diskurse über die Movierung sowie der normgerechten Verwendung der Movierung z. B. in institutionellen Leitfäden (Universitäten, Behörden).
  • Historische und dialektale Verwendung der onymischen Movierung; zudem: Etymologie und Formvariation der Suffixe und ihr Verhältnis zu verwandten Formen, z. B. dem Genitiv-s.
  • Gebrauch der Movierung in Fachsprachen, in der Wissenschaftskommunikation und in der interkulturellen Kommunikation.
  • Formen, Funktionen und Bewertungen der Movierung in anderen Sprachen, z. B. in slawischen Sprachen, wo die onymische Movierung noch stark produktiv ist, sowie von Fremdsuffixen.

Bereits zugesagte Vorträge:
Gabriele Diewald (Hannover)
Christine Ganslmayer (Erlangen-Nürnberg)
Rüdiger Harnisch (Passau)
Bettina Lindner-Bornemann (Hildesheim)
Damaris Nübling (Mainz)
Ursula Reutner (Passau)
Barbara Schlücker (Leipzig)
Renata Szczepaniak (Bamberg)

 

Ein Vortragsabstract von maximal 2 Seiten wird bis zum 30. November 2021 erbeten an alexander.werth@uni-passau.de
Die Vorträge sind auf 30 Minuten plus 15 Minuten Diskussion angesetzt.

 

Literatur:
Doleschal, Ursula (2002): Das generische Maskulinum im Deutschen. In: Linguistik online 11, 2/02.
Fleischer, Wolfgang & Irmhild Barz (2012): Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. Berlin/Boston. 4. Aufl.

Harnisch, Rüdiger (2021): Von weiblichen Leserinnen und Frauenskispringerinnen. Tautologische Syntagmen auf dem Weg zu festen Konstruktionen. In: Anja Binanzer et al. (Hgg.): Prototypen – Schemata – Konstruktionen. Berlin/Boston, S. 13–30.

Kotthoff, Helga & Damaris Nübling (2018): Genderlinguistik. Tübingen.

Möller, Robert (2017): Euphrosina kolerin, Beckhin vonn Paindten, die Berndt bonesche und andere beclagtinnen. Feminin-Movierung von Appellativen und Namen in Hexenverhörprotokollen des 16./17. Jahrhunderts. In: Markus Denkler et al. (Hgg.): Deutsch im 17. Jahrhundert. Heidelberg, 129–159.

Mottausch, Karl-Heinz (2004): Familiennamen als Derivationsbasis im Südhessischen. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 71, S. 307–333.

Ratscheva, Tanja (2003): Suffixderivation der weiblichen Personenbezeichnungen im Frühneuhochdeutschen. In: Ana Dimova & Ernst Herbert Wiegand (Hgg.): Wort und Grammatik. Hildesheim, S. 271–282.

Rolker, Christof (2014): Das Spiel der Namen. Familie, Verwandtschaft und Geschlecht im spätmittelalterlichen Konstanz. Ostfildern.

Roolfs, Friedel Helga (2019): Traditionen der Femininmovierung von Familiennamen in Westfalen. In: Niederdeutsches Jahrbuch 142, 20–37.

Schmuck, Mirjam (2017): Movierung weiblicher Familiennamen im Frühneuhoch¬deutschen und ihre heutigen Reflexe. In: Johannes Helmbrecht (Hgg.): Namengrammatik. Linguistische Berichte Sonderheft 23. Hamburg, 33–58.

Steffens, Rudolf (2014): Nese Selyersen prondenersen in dem Spidal. Sexusmarkierung bei rheinfränkischen Familiennamen (spätes Mittelalter/frühe Neuzeit). In: Friedhelm Debus et al. (Hgg.): Linguistik der Familiennamen. Hildesheim u.a., S. 55–84.

Szczepaniak, Renata (i. Dr.): „Die Universität ist nicht nur Studienstätte, sondern auch Arbeitgeberin“ – Zur Rekontextualisierung des in-Suffixes. In: Rüdiger Harnisch & Igor Trost (Hgg.): Theorie und Typologie der Remotivierung. Berlin/Boston.

Werth, Alexander (2015): Gretie Dwengers, genannt die Dwengersche. Formale und funktionale Aspekte morphologischer Sexusmarkierung (Movierung) in norddeutschen Hexenverhörprotokollen der Frühen Neuzeit. In: Niederdeutsches Jahrbuch 138, S. 53–75.

Werth, Alexander (2021): Die onymische Movierung. In: Christine Ganslmayer & Christian Schwarz (Hgg.): Historische Wortbildung. Hildesheim u. a., S. 349–381.

Werth, Alexander (i. Dr.): Der Abbau der onymischen Movierung im 18. Jahrhundert. Eine Auswertung des Deutschen Textarchivs. In: Anna Havinga & Bettina Lindner-Bornemann (Hgg.): Deutscher Sprachgebrauch im 18. Jahrhundert. Heidelberg.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.