GfN-Tagung „Bewegte Namen“

Bewegte Namen
Anpassungsprozesse von Eigennamen in räumlichen, zeitlichen und sozialen Spannungsfeldern

Tagung der Deutschen Gesellschaft für Namenforschung

Münster, 11.–13. September 2019
Lokale Organisation: Antje Dammel in Zusammenarbeit mit Kirstin Casemir und Friedel Roolfs
(WWU Münster und Kommission für Mundart- und Namenforschung Westfalens)

Aufruf Bewegte Namen

Call Names in Motion

Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch. Anonyme Abstracts (pdf, 500 Wörter ohne Literatur) können bis 30.04.2019 an bewegte.namen@wwu.de eingereicht werden.

Weitere Informationen finden sich demnächst hier:  https://tinyurl.com/bewegtenamen

°°°°°

Da Eigennamen direkt referieren, ist Schemakonstanz für sie von zentraler Bedeutung. Starre Referenz wird aber dann zum Problem, wenn sich Namen(trägerInnen) in einem veränderten Umfeld bewegen. Dann kommt es zu Anpassungsprozessen, die zu einem mehr oder weniger stabilen Doppelleben von Namen führen können, etwa wenn sich eine Familie Hueber entscheidet, sich einem ahistorischen Aussprache-Usus nicht länger entgegenzustellen. Ziel der Tagung ist es, über anekdotische Evidenz hinausgehend Steuerungsfaktoren für Namenanpassung und Namenwahl herauszuarbeiten.

Fallstudien können sowohl Personennamen als auch Toponyme behandeln und sowohl soziale als auch strukturelle Aspekte zum Gegenstand haben. Neben Anpassungsprozessen des Namenkörpers in Lautung und Graphie ist auch die Neu- bzw. Abwahl von Namen von Interesse. Das Thema ist offen für diachrone und synchrone Studien.

Diachron eröffnen sich Spannungsfelder durch Sprachwandel und Vertikalisierung, durch zeitstabile Mehrsprachigkeit oder Wechsel der Kultursprache in einem Gebiet. Mögliche Themen sind etwa Analysen zu Latinisierung und Gräzisierung von Familiennamen in der frühen Neuzeit, zur Verhochdeutschung niederdeutscher Namen (vgl. Kunze 1998), zu Prinzipien der Volksetymologie oder zur Integration von Namen aus anderen Kulturkreisen in ein neues Schreib- und Phonemsystem (vgl. Menge 2000 oder Marti 2008 zu polnischen Namen in deutschen Bergbauregionen). An Anpassungsprozessen von Toponymen, die häufig im Spannungsfeld politischer Machtverschiebungen stehen und eine wichtige Rolle für die Sichtbarkeit regionaler Minderheitensprachen im öffentlichen Raum spielen, lässt sich die Signalwirkung bewegter Namen in der Linguistic Landscape mehrsprachiger Sprachgemeinschaften beobachten (vgl. interferenzonomastische Arbeiten wie Haubrichs / Tiefenbach 2011 und kulturgeographische wie Giraut / Houssay-Holzschuch 2016).

Synchron eröffnen sich Spannungsfelder durch soziale Rollenvielfalt, multiple Gruppenzugehörigkeit und Transgressionen individueller Namen(trägerInnen). Modifikationen von Personennamen entstehen zum Beispiel infolge von Migration, besonders wenn typologisch unterschiedliche Namensysteme aufeinandertreffen (so ist die Zweigliedrigkeit mit Vor- und Nachname des deutschen Systems bekanntlich alles andere als selbstverständlich). Namenanpassungen können auch zwischen In- und Outgroup (Insider- und Outsidernamen) und im Spannungsfeld Privatheit – Öffentlichkeit stattfinden, z.B. inoffizielle Toponyme oder die Koexistenz von Langformen nach Namenbüchern und offiziell gewordenen Kurzformen in katholisch geprägten Kulturen (zur affektiven Aufladung der Relation von Kurz- und Langformen vgl. Wierzbicka 1992).  Auch Namenanpassungen zwischen Standard und Dialekt oder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit sind von Interesse. So hat z.B. Christen (2007) aufgedeckt, dass Familiennamen in der Deutschschweiz in Aussprache und Schreibung ein diglossiebedingtes Doppelleben führen. Variabel kann die Namenverwendung auch durch unterschiedliche Funktionen in der sprachlichen Interaktion (Adressierung, Unbeteiligtenreferenz) sein – in deutschen Dialekten werden hierfür unterschiedliche Namenkonstruktionen genutzt.

Übergreifend geht es darum, Faktoren herauszuarbeiten, die Anpassungsprozesse und Doppelleben von Namen bedingen. Als Leitfragen bieten sich an:

  • Wie (un)bewusst, wie (un)gesteuert verlaufen Anpassungen bzw. werden Doppelleben von Personennamen und Toponymen aufrechterhalten?
  • Wer bestimmt über Adaptationen – NamenträgerInnen selbst oder NamennutzerInnen? Ergibt man sich entgegen eigenen Wünschen und historischen Verhältnissen in den Usus der NamennutzerInnen?
  • Wie wirkt sich die Anpassung auf NamenträgerInnen/-verwenderInnen aus (Identifikation – Verlust-/Gewinnerfahrung)?
  • Welche Faktoren beschränken/erleichtern Adaptationen? Hier können neben strukturellen und sozialen z.B. auch rechtliche Aspekte thematisiert werden.
  • Wer kennt welche Varianten eines Namens für eine Person bzw. für einen Ort? Unter welchen Umständen wird welche Variante eingesetzt?
  • Strukturelle Aspekte: Was sind die Möglichkeiten und Grenzen formaler Manipulierbarkeit, z.B. bei Eindeutschung, Verhochdeutschung oder Latinisierung? Welche Rolle spielt der Kontrast zum jeweiligen appellativischen System? (Zum Beispiel entscheidet der Zeitpunkt der Orthographienormierung und Familiennamenfixierung im belgisch-niederländischen Vergleich, ob Namen ein Doppelleben zwischen Dialekt und Standard haben können, vgl. Marynissen/Nübling 2010).

Viele dieser Fragen sind nur überdisziplinär zu lösen, so dass uns neben linguistisch-onomastischen auch sozialwissenschaftliche und kulturgeographische Zugänge hochwillkommen sind.

Literatur (Auswahl)

  • Alford, R.D. (1988): Naming and Identity. A cross-cultural study of personal naming practices. New Haven.
  • Christen, H. (2007): Familiennamen: Lokale Identitätsmarker oder besondere Wörter? In: Beiträge zur Namenforschung (N. F.) 42, 419‒439.
  • Giraut, F. / M. Houssay-Holzschuch (2016): Place Naming as Dispositif: Toward a Theoretical Framework. In: Geopolitics 21/1, 1‒21.
  • Haubrichs, W. / H. Tiefenbach (Hg.) (2011): Interferenz-Onomastik. Namen in Grenz- und Begegnungsräumen in Geschichte und Gegenwart. Saarbrücken.
  • Kunze, K. (1998): Pape und Pfeifer. Zur Lautverschiebung in Familiennamen. In: A. Schnyder (Hg.): Ist mir getroumet mîn leben? Vom Träumen und Anderssein. FS  K.-E. Geith. Göppingen, 307‒316.
  • Macha, J. (1998): Diskontinuität durch Auswanderung. Der Umgang mit Eigennamen. In: Schmitsdorf, E.  u.a. (Hg.): Lingua Germanica. Studien zur deutschen Philologie. FS J. Splett. Münster u.a., 161‒170.
  • Marti, R. (2008): Schimanski und Co an der Saar. In: A. Greule u.a. (Hg.): Studien zu Literatur, Sprache und Geschichte in Europa. St. Ingbert, 397‒410.
  • Marynissen, A. / D. Nübling (2010): Familiennamen in Flandern, den Niederlanden und Deutschland. Ein diachroner und synchroner Vergleich. In: A. Dammel / S. Kürschner / D. Nübling (Hg.): Kontrastive germanistische Linguistik. Bd. 1. Hildesheim, 311-362.
  • Menge, H. H. (2000): Namensänderungen slawischer Familiennamen im Ruhrgebiet. In: Niederdeutsches Wort 40: 119‒132.
  • Schmidt-Jüngst, M. (2018): Der Rufnamenwechsel als performativer Akt der Transgression. In: Nübling, D. / St. Hirschauer (Hg.): Namen und Geschlechter – Studien zum onymischen Un/Doing Gender. Berlin, 45‒72.
  • Wierzbicka, A. (1992): Personal Names and Expressive Derivation. In: Dies.: Semantics, Culture, and Cognition. Human Concepts in Culture-Specific Configurations, Oxford, 225‒308.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.